Und plötzlich ist alles anders...

In der 4ten Klasse noch mal „schnell“ die Schule wechseln?

 

Dazu gehört vielleicht ein wenig Mut aber auch vor allem eins: Liebe.

Die Liebe zum eigenen Kind. Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass jene Eltern, die es nicht tun, ihr Kind nicht oder weniger lieben, ich will damit nur sagen, dass ich in der 3. Klasse bereits gemerkt habe und sich fast täglich stärker herauskristallisiert hat, dass die Regelschule meinem Kind, seinem Lernverhalten und seiner Persönlichkeitsentwicklung nicht zuträglich, sondern im Gegenteil, ich könnte fast sagen, schädlich waren.

Integration und Inklusion wird im Regelschulsystem, hier in Österreich, in meinen Augen völlig missverstanden und missinterpretiert.

 

Der Nachteilausgleich für Autisten sieht vor, dass sie für Mathematik, Deutsch, Geometrie, Sachunterricht entweder den selben Stoff in einem etwas längeren Zeitfenster zu bewältigen haben, sofern sie dem Regelschulplan folgen, oder aber – immer vorausgesetzt, es besteht ein SPF (sonderpädagogischer Förderbedarf), etwas weniger an Lernstoff in der selben Zeit absolvieren müssen. Z.B. 5 Divisionen vom selben Schweregrad statt 8 oder 10 in der selben Zeit.

Ich vergleiche es immer ein wenig mit „der Blinde hat ein wenig länger Zeit um die Farbe der Blume zu nennen, die vor ihm wächst.“

Ich hinterfrage diese Form des Nachteilausgleichs bereits seit dem ersten Moment, als ich mit ihm in Berührung kam, beinhaltet er doch noch einen weiteren, sehr wesentlichen Teil, nämlich den der musischen Fächer.

Und ich frage mich, seit ich in Österreich bin, warum ich in Südtirol nie mit den Worten Integration und Inklusion in Kontakt gekommen bin - und das, obwohl bereits mein bester Kindergartenfreund ein Asperger-Autist war (nur wußte ich davon zum damaligen Zeitpunkt nichts). 

Beides wurde gelebt und nicht darüber theoretisiert. 

Autisten haben eine differenzierte Form der Wahrnehmung, manche sind z.B. besonders geräusch-, manche besonders lichtempfindlich, manche stören sich so sehr an dem Aussehen einer Speise, dass sie sie erst gar nicht erst versuchen wollen.

Was das alles mit Schule und Integration zu tun hat?

Meiner Meinung nach hat die Schule die Aufgabe, (unter anderem) die Kinder auf das Leben vorzubereiten, sie zu sozialisieren, sonst würde z.B. der häusliche Unterricht ausreichen. 

Es ist Autisten erlaubt nicht zu basteln, sollten sie sich z.B. durch taktile Überempfindlichkeit vor bestimmten Stoffen ekeln.

Es ist Autisten erlaubt, vom Musikunterricht fern zu bleiben, sollte es ihnen zu laut sein.

Es ist Autisten erlaubt, vom Turnunterricht befreit zu werden, haben doch manche grobmotorische Probleme und manche möchten einfach nicht mitturnen.

Was bleibt ihnen denn dann eigentlich? Die ganzen Lernfächer!

Man erlaubt ihnen an den musischen Fächern nicht teilzunehmen und verlangt ihnen aber ab, „normal“ zu lernen, wo sie eventuell aber vor allem eines brauchen: ZEIT! Und die gibt der Regelschulplan nun mal nicht her! Am Tag x müsssen alle A können.

Aus der Gehirnforschung weiß man schon längst, dass gerade die musischen Fächer für eine gesunde Psyche von großer Bedeutung sind!

Denn eigentlich sind das ja die ganzen Fächer, die Spaß machen sollten, möchte man meinen. Nicht wahr?

Anstatt sich aber darüber Gedanken zu machen, wie Inklusion in diesen Fächern funktionieren kann, streicht man sie kurzerhand, falls notwendig, um den Focus auf die sogenannten „wichtigen“ Fächer zu legen und, wohl gut gemeint, nicht unnötig Energie zu "verschwenden".

 

Doch was ist nun mit der Sozialisierung? Schauen wir doch einmal genauer hin! Wie schaut später mal die Freizeit aus? Und was haben die musischen Fächer mit Freizeitgestaltung zu tun?

Jeder von uns hat wahrscheinlich ein Hobby, welches aus einem oder mehreren musischen Fächern stammt. Entweder hören wir Musik, oder spielen gar ein Instrument, machen in unserer Freizeit Sport, gehen ins Theater oder auf ein Konzert, basteln, kochen, backen oder zeichnen, ... Diese Liste können Sie, die das jetzt lesen, mit ihrem Hobby fortsetzen und sie werden merken, es ist wahrscheinlich in dem Bereich zu finden, welches Kindern „erlaubt“ wird, wegzulassen.

Und was bedeutet das Hobby für Sie? Ausgleich!

Natürlich könnte man jetzt argumentieren und sagen: „Aber der Asperger-Autist hat ja gar keine Freude daran! Also nimmt man ihm auch nichts!“

Glauben Sie mir, ich weiß es besser.

Inklusion ist dort, wo auch ein Asperger-Autist am vollständigen Schultag teilnehmen kann, ohne das Gefühl zu haben, etwas sei zu wild, zu laut, so grell, zu.... und vor allem eins: er sei nicht „anders“, sondern ganz normal!

Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass nach bereits 5 Schultagen mein Sohn wie ausgewechselt ist, sein Selbstvertrauen plötzlich merklich vorhanden ist, eine nie dagewesene Selbstständigkeit beginnt zu wachsen und sich die Grobmotorik insofern geändert hat, als er plötzlich einfach auf das Fahrrad aufgestiegen und losgefahren ist, obwohl er vorher, trotz monatelangem Üben, die Balance nie halten konnte.

In der Schule gibt man ihm das Gefühl, dass man ihm vertraut, auf ihn vertraut, dass er selbst verantwortlich ist für sein Denken und sein Handeln.

 

Die Erwachsenen haben eine begleitende Funktion, keine korrigierende!

 

Denn der Wille zu lernen schlummert in jedem von uns und erlischt nie.

Wann hat der Großteil nur so sehr den Glauben an sich selbst und an seinen Nachwuchs verloren, dass er annimmt, ohne Zucht, Druck und Ordnung würde nicht genügend gelernt?

Wenn wir unseren Kindern versuchen durch Druck Dinge beizubringen, die sie nicht benötigen, dann bringen wir ihnen vor allem eines bei:

Nämlich, dass das Lernen an sich sinnlos ist! Und das ist eigentlich verdammt schade...

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Carmen (Montag, 02 Oktober 2017 21:06)

    Liebe Verena, ich bin sehr berührt und freue mich vor allem riesig für Dario!! ich denke mit Deinen Worten sprichst du vielen Eltern aus der Seele.....

  • #2

    Doris (Dienstag, 03 Oktober 2017 10:37)

    Liebe Verena ! Das hast du wunderbar geschrieben - ich hoffe,dass viele Menschen deinen Beitrag lesen und darüber nachdenken und ich hoffe noch mehr,dass sich in unserem Schulsystem endlich mal nicht nur etwas sondern VIELES ändert !!! Ich wünsche Dario dass er sich weiterhin in der neuen Schule so wohl fühlt und er sich dort in SEINEM Tempo weiterentwickeln kann !! Alles Liebe !!!

  • #3

    Katharina (Dienstag, 03 Juli 2018 15:44)

    Hallo Verena,
    mein Sohn hat seit kurzem auch die Diagnose Asperger bekommen. Als seine Lehrerin davon erfuhr, wurden wir sofort gebeten, die Schule zu wechseln. Es war sehr hart, ein Schock für uns. Wir haben ihn nun auf eine Montessori Schule angemeldet, die im Herbst beginnt und HOFFEN, dass er dort bessere Erfahrungen machen wird. Das alles gibt es noch 2018… Schade, denn ich glaube auch, dass wir von Asperger Kindern lernen können. Mein Leben hat er bis jetzt sehr bereichert und mir viel neues gezeigt! Ich wünsche auch Ihrem Sohn alles Gute!