Gibt es noch Freiheit in einer Beziehung?

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Kann man in einer Beziehung überhaupt frei sein? Oder ist man es überhaupt erst, wenn man in einer ist? Ist es wenn ich mich binde, nicht das Ende meiner Freiheit? Wie viele Kompromisse muss / darf / kann ich eingehen, damit ich mich noch immer frei fühle, obwohl ich einen Partner habe? Verliere ich meine individuelle Freiheit, wenn ich mich auf eine Beziehung einlasse?

Das sind ganz schön herausfordernde Fragen, mit denen wir uns beschäftigen dürfen, wenn wir auch nur einen Funken eines Zweifels haben, ob wir frei sind, wenn wir in einer Beziehung sind.

 

Es gibt für all diese Fragen keine schwarz-weiss Antwort. Es gibt für all diese Fragen nicht nur eine richtig Antwort...

Ich teile hier mit dir lediglich ein paar Gedanken als „Input“ für deine Überlegungen zu dem Thema:

Die erste Frage ist, ob wir unsere Freiheit für Beziehungen opfern. Die Antwort ist: unser ganzes Leben sind wir in Beziehungen eingebettet. Und das vom ersten Atemzug an. Ohne körperlichen Kontakt würde jedes Neugeborene innerhalb kürzester Zeit versterben. Jeder weiß, wie schmerzlich es für Neugeborene und ihre Eltern ist, wenn sie aufgrund von medizinischen Notfällen sich körperlich nicht nahe sein können. Was in den Siebzigern, wo ich geboren wurde, noch völlig normal war, dass man sein Kind für 14 Tage post-partum nicht besuchen ging, ist heutzutage unvorstellbar!

Oder denken wir an Haftanstalten. Die Einzelhaft gilt als Foltermethode! In gewissen Breiten sind solche Einzelzellen weit unter der Erde, schalldicht, ... komplett von der Außenwelt abgeschirmt, keine Geräusche, keine Worte, nichts Verbindendes zur Außenwelt soll diese Art der Haft verschärfen. Das Ziel ist, den Gefangenen an den Rande seines Verstandes zu drängen und so ein Geständnis aus ihm heraus zu bekommen. Das gelingt sicher früher oder später!

Aber schauen wir uns heute um!

Was wir derzeit in den Corona-Zeiten überall hören und teils selbst zu spüren bekommen, ist die psychische Belastung, die durch Kontaktmangel entsteht. Die Einsamkeit wird immer grösser, die Berührungen immer wichtiger. Alle meine Kunden, die als Single (in vermeintlicher Freiheit) leben, klagen über den Mangel an Umarmungen, Körperkontakt – und sei es nur der Drücker zur Begrüßung oder zum Abschied.

Der Mensch ist eben keine Insel. Und jeder braucht die „Relation“ (von relatio – lat. Beziehung, Verhältnis) zu seiner Umwelt. Jede Tätigkeit steht gewissermaßen in Relation zu der Umwelt. So z.B. Sehen, Sprechen, sich fortbewegen, etc. Für alle Tätigkeiten brauchen wir ein Gegenüber und sei es der Baum, an dem wir uns anlehnen. Auch so treten wir in Kontakt mit unserer Umwelt. Das ist vielleicht ein philosophischer Ansatz, aber es zeigt, wie sehr wir andauernd in Beziehungen leben, in Relationen.

Woher kommt sie nun, diese Angst, seine Freiheit zu verlieren, wenn man sich bindet?

Wie wir bereits gesehen haben, ist ein Leben ohne Bindung unmöglich. Geht es also eher darum, dass ich mich schlecht für etwas entscheiden kann? Bei uns gibt es ein wunderbares Sprichwort: „non si puo’ avere la botte piena e la moglie ubriaca.“ – Man kann nicht ein volles Fass UND eine betrunkene Frau haben. Man muss sich also entscheiden. Wenn ich mich für etwas entscheide, muss ich wohl zu etwas anderem „nein“ sagen. Manchmal muss ich mich sogar temporär binden um in Folge mehr Freiheiten zu haben, wie z.B. in einem Arbeitsverhältnis. Auch was Ausbildungen betrifft, binden wir uns eine zeitlang an Institutionen, wo wir lernen und teilweise gewaltige Unfreiheiten in Kauf nehmen. Aber habe ich das Ziel, das Ende der Ausbildung erreicht, eröffnet mir das ganz andere Dimensionen der Freiheit, nämlich mich eventuell in der Arbeit mit Themen zu befassen, die mich faszinieren. Ich erreiche dadurch die Freiheit, das tun zu können und zu dürfen, was mich freut und mir Spass macht, oder finanzielle Sicherheit ermöglicht.

Trotzdem stellt sich immer wieder die Frage, wie frei man überhaupt sein kann, wenn man zu zweit ist. Kann ich in einer Partnerschaft überhaupt noch von Freiheit sprechen?

Natürlich! Denn Freiheit ist eine innere Haltung! Freiheit hat mit innerer Einstellung zu tun und ist gar nicht so sehr von äußerlichen Faktoren abhängig.

Immer wieder höre ich: „Ich muss, weil mein Partner....“ Stimmt das denn? „Müssen“ wir? Wer sagt das? Wo steht das? Ist es nicht vielmehr unsere eigene Entscheidung das eine oder andere zu tun, von dem wir vielleicht nicht unbedingt überzeugt sind, weil wir aber auch bei der Entscheidung es zu tun, die Freiheit haben uns für den Wert zu entscheiden, welchen die Entscheidung mit sich bringen wird? Klingt kompliziert? Ist es aber gar nicht. Wenn ich z.B. etwas für meinen Partner tue im Glauben ich täte es ja „nur für ihn“, dann muss ich mal genau hinsehen, was ich dafür bekomme. Nichts? Falsch! Vielleicht ist der Partner happy und bleibt somit ausgeglichen. Na bitte, ist das nichts? Harmonie? Jetzt kann ich natürlich in Frage stellen, wie harmonisch das Ganze wirklich ist, wenn ich widerwärtig Dinge hinnehme, nur um meine Ruhe zu haben. Aber das Beispiel, so sehr es diskutabel ist, zeigt, dass wir sehr wohl IMMER frei sind zu entscheiden. Und somit immer und ausschließlich zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse handeln. Na wenn das keine Freiheit ist?

Hinter den Problemen, die sich in Paarbeziehungen in Bezug auf „Beziehung versus Freiheit“ ergeben, liegen viel tiefere Ursachen dahinter. Meistens sind es Angst, Eifersucht, Komplexe, Minderwertigkeitsgefühle, etc. Ein Beispiel dafür wäre der Konflikt, wenn einer dauernd in Kontakt bleiben will, via Handy, weil es ihm eben wichtig ist, ständig verbunden zu sein, selbst bei räumlicher Trennung, während es den anderen nerven kann, weil der sich dadurch in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt.

Noch ein Beispiel? Der Eine möchte ab und zu Zeit alleine verbringen, ohne Partner, sich mit Freunden treffen oder alleine auf eine Party gehen (sofern das in diesen Zeiten überhaupt noch möglich ist). Der andere hält von diesen Trennungen aber gar nichts und reagiert enttäuscht, traurig oder gar beleidigt. Auseinandersetzungen und Streitereien sind vorprogrammiert.

Hinter diesen Themen stecken meist aber ganz persönliche Themen, für die das Gegenüber kaum etwas kann. Mangel an Selbstwert, Selbstzweifel, unzureichende Selbstsicherheit führen gerne dazu, dass man dauernd von seinem Partner die Bestätigung verlangt. Der mangelnde Selbstwert äußert sich dann z.B. in der Angst, der Partner könnte auf der Party wen Neuen, Besseren kennenlernen und mich deshalb verlassen.

Und was hat das jetzt mit der Freiheit zu tun? Es ist eigentlich ganz einfach. Je FREIER ich von Selbstzweifeln, Ängsten, Befürchtungen und Minderwertigkeitsgefühlen bin, umso freier bin ich, was zur Folge hat, dass ich meinem Gegenüber mehr Freiheit geben kann. Ich brauch keine Kontrolle, keine Überwachung des anderen um sicher zu sein, denn es plagen mich keine Ängste oder Zweifel, nur weil der andere grad mal nicht da ist.

Ist nun eine Beziehung aber einschränkend oder befreiend?

Es mag paradox klingen, aber auch ich gehöre zu den Menschen, die sich durch starke Bindungen wie Freundschaften oder eine gute Partnerschaft erst richtig frei fühlen. Es tut mir gut, z.B. bei meiner besten Freundin ganz ich selbst sein zu können. Die innige, tiefe Verbundenheit gibt mir die Freiheit mich offen zu zeigen. In einer Partnerschaft, in der ich mich geborgen fühle, lege ich meine Maske ab, welche ich sonst oft aufhabe. Ich muss nicht uneingeschränkt die „Starke“ geben, die jeden bei der Hand nehmen und begleiten kann, wie ich es beruflich tue, sondern ich darf auch mal klein und schwach sein, müde, gestresst, aber ebenso kindlich erfreut, weil ich ein Eichkätzchen sehe. Ich darf meine Emotionen leben, frei und ohne Zensur, alle, die ich vielleicht im Alltag eher verstecken würde. Darf meine Ängste äußern, meine Wut rausrufen, meinen Sorgen Worte geben, meiner Traurigkeit freien Lauf lassen und weinen. Allein, wenn ich das gerade tippe, macht sich in mir ein Gefühl von tiefer Zufriedenheit und Freiheit breit. Ich darf einfach sein. Ich weiß, mein Partner steht zu mir, ich darf sein. Meine Beziehung ist für mich ein sicherer Ort, wo ich ganz ohne wenn und aber ich selbst sein darf. Und ganz ehrlich? Wenn du das liest... DAS willst du nicht? Einen Ort, wo du ganz du sein kannst? Ich glaube eigentlich, dass JEDER Mensch so einen Ort braucht. Tja und dieser Ort heißt Beziehung – Relation und ist geprägt von der größten Freiheit, die man empfinden kann.

Wieviel mehr Freiheit kann ich denn haben, als ganz ich selbst sein? Ich finde keine größeres, wertvolleres Gut als absolute Authentizität.

Wenn du das Gefühl hast, in deiner Beziehung NICHT ganz du selbst sein zu können, dann solltest du dir folgende Fragen stellen:

Welche Absicht hat deine Beziehung? Warum führst du sie?

Willst du den anderen ganz für dich haben?

Missbrauchst du dein Gegenüber für dein Glück? Machst ihn vielleicht sogar dafür verantwortlich?

Wie weit erkennst du dich in deinem Gegenüber?

Und zum Abschluss bitte ich dich noch über einen Satz nachzudenken und ihn wirken zu lassen:

„In der Liebe bringt mir der andere nichts. Er ist gut an sich, nicht gut für mich. Genau das liebe ich an ihm.“

 

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