Frieden im Körper - der Krieg ist vorbei.

Vor ein paar Tagen habe ich mich erneut dabei ertappt, mein Spiegelbild zu kritisieren. Zu dicker Bauch, zu schwabbelige Beine, viel zu viele Narben auf den Knien und Oberschenkeln durch die unzähligen Operationen, …

Dann hielt ich inne. Wie kann ich nur im Entferntesten dran glauben, dass es mir besser gehen würde, wenn ich „besser“ aussehen würde? Allein die Überlegung… woher kommt sie? Was will sie mir sagen? Was steht denn dahinter? Wenn es stimmen würde, dass man einen perfekten Körper braucht, um glücklich zu sein, dann wären viele Kundinnen nicht bei mir, denn sie sind wunderschön. Alle!

Jede Einzelne -jedenfalls in meinen Augen. (Vielleicht, weil ich sie nicht auf das Äußere beschränke, aber gut…)

Inspiriert von dem Kurier-TV Interview über Perfektionismus, habe ich bereits einen Blog verfasst. (Link) – aber meine Gedanken gehen weiter.

 

Was steckt denn wirklich hinter dem Ganzen „nicht gut genug“. Das mag ein Gefühl sein, was so ziemlich alle von uns begleitet. Dich nicht? Nein? Kaufst du dir nie etwas, weil du eine Werbung gesehen hast und meinst, genau das „brauchst“ du jetzt auch? Du kaufst kein Markengewand, weil „die anderen“ das eben auch haben und du dazugehören willst? Du kaufst keine teure Creme, weil sie dir die Reduktion von Falten und einen Pfirsichhintern verspricht? (Was natürlich abgesehen davon, dass man mal hinterfragen sollte, was an Falten denn so tödlich ist und sich der Realität stellen, dass das Ganze ein absoluter Schwachsinn ist, es gäbe sonst zumindest eine 90-jährige, die dank der Werbung und der gekauften Creme keine Falten aufweist.) Werbung suggeriert uns eines: kauf das und du fühlst dich besser!

Besser, weil du attraktiver bist, als erfolgreich giltst, trendy bist, etc.

Ich habe mir gedacht, wenn nur jede Frau denken würde: „Ich bin, so wie ich bin!“ (ohne den Nachsatz, „und damit bin ich gut genug“, denn der würde schon wieder eine Wertung beinhalten), würde die gesamte Weltwirtschaft in der nächsten Stunde zusammenbrechen. Und ich meine das genauso, wie ich das schreibe. Frau bräuchte keine Cremen mehr, die Unmögliches versprechen, sämtliche Nahrungsergänzungsmittel, die der Schönheit dienen hätten – ja, ausgedient, ganz zu schweigen von der Modebranche mit der Wegwerfmode, Marken würden ihren Reiz verlieren, die Schönheitschirurgie wäre dem Ende geweiht, … den Gedanken kannst du gerne selbst weiterspinnen, denn er führt schier ins Endlose.

Aber warum lassen wir uns nur so sehr beeinflussen, setzen uns selbst so unsagbar unter Druck?

Wir wollen uns gut fühlen, wir wollen Sicherheit, wir wollen sichere Bindungen, wir wollen dazugehören. All das ist für den Mensch, wenn er geboren wird, lebensnotwendig, das bedeutet, diese frommen Wünsche sind gut und richtig!

Doch genau auf diesen Zug springt die Gesellschaft und die Wirtschaft auf. Sage mir, wie oder wo du wohnst, was du trägst, was du fährst, was du cremst, was du spritzt, und ich sage dir, wer du bist. Identifikation statt Identität. Und diese ist je nachdem, wo wir uns gerade örtlich befinden, sehr unterschiedlich.

 

Die letzten 5 Tage in Südtirol haben mir das bestätigt. Zurück in meiner ursprünglichen Heimat, war ich erstaunt, dass ich in 5 Tagen KEINE einzige Frau gesehen habe, die hyalurongeschwollene Lippen oder übertriebene Wimpernkränze zur Schau trug. Mir viel im Gespräch mit den Frauen auf, dass sie noch ihre komplette Mimik besaßen, es rümpfte sich nicht nur mehr die Nase beim Lachen (nach zuviel Botox), sondern die Augen zeigten Lachfalten und die Stirn runzelte sich. Ich war verblüfft, wie sehr mir das auffiel – und wie sehr mir dieser Wahn ganzer Gesellschaften, so wie man ist, nicht gut genug zu sein, selbst zu schaffen machte.

Ich selbst stellte fest, dass wenn ich 5 Tage mit dem Camper nur mit dem Notwendigsten unterwegs war, keinen einzigen Gedanken daran verschwendete, ob meine Augenbrauen gezupft wären oder ob ich Mascara auf den Wimpern hatte. Ganz zu schweigen, wie ich in dem Gewand aussehen würde, welches ich leicht zerknittert aus dem Camper-Kästchen zog. Es war mir schlichtweg EGAL.

 

Zurück in Wien kamen wieder die ersten Gedanken. Jetzt geht dann die Badesaison los, oh mein Gott, ich habe in den letzten zwei Jahren 8 Kilo zugenommen, was würden wohl die anderen denken, wenn sie mich so sehen? Soll ich mich rechtfertigen, weil ich seit zwei Jahren zum ersten mal mein Leben WIRKLICH genieße und endlich die Kompensationsstrategien wie exzessiver Sport und Nahrungskasteiung einfach nicht mehr funktionieren? Dass es mir endlich so gut geht, dass ich eben nicht Tag und Nacht versuche, mein Äußeres zu regulieren, um vermeintlich ein besseres Gefühl zu bekommen, welches sich, ehrlich gesagt, sowieso nie eingestellt hatte?

Mir viel auf, wie getrennt ich noch immer von meinem Körper war, bzw. bin. Das Warum ist mir völlig klar. Meine Kindheit spricht Bände und es gab wohl keinen Ausweg, als meinen Körper, mein Haus, zu verlassen, um diesen Wahnsinn zu überleben. (nachdem das de facto nicht geht, rettete mich die Dissoziation aus der „Misere“)

Aber die Gefahr ist vorbei. Das Haus wird nicht mehr zerbombt, ich könnte in Ruhe darin wohnen. Wie kann ich aber wieder spüren, dass es mir gut geht, wenn das Haus voller Krater von den Bombeneinschlägen ist und wirklich sehr mitgenommen „aussieht“? Jeder der mich kennt, weiß, dass ich kein Fan von Spaltung bin, aber in diesem Moment hilft mir die Metapher gerade sehr, um besser zu artikulieren.

Es mag sein, dass die Fassade teilweise zerstört, teilweise voller Narben ist von dem, was passiert ist, aber das Innere meines Hauses, es bliebt unversehrt. Und damit meine ich jetzt nicht, dass ich mir alles Mögliche kaufen muss, um die Metapher zu ergänzen, Möbelstücke, Lampen, etc. um es fein zu haben ;-)

Ich kann fühlen, dass ich mich in meinem Haus sicher fühle, es hat allen Angriffen, sämtlichen Kriegen getrotzt und steht noch immer. Übersetzt: ich kann nur uneingeschränkt stolz sein auf meinen Körper, der mich durchs Leben getragen hat und nie aufgegeben hat, allem standgehalten hat, um mir weiterhin ein sicheres Zuhause zu bieten. Ich will mich nie mehr dafür schämen, wie ich aussehe, mich nicht mehr ärgern, dass meine Beine nicht mehr können und nicht mehr wollen. Ich bin stolz auf mich, dass ich das alles geschafft habe und wünsche jeder Frau, jedem Mann, der mit seinem Aussehen kämpft oder eben dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, denselben Frieden, den ich gerade fühle. Frieden, Sicherheit und Dankbarkeit, diesen einen Körper zu haben. Es klingt vielleicht für manch einen befremdlich, aber für mich fühlt es sich gerade an, wie heimkommen, nach einer langen Reise, die notwendig war, um zu überleben, denn:

Der Krieg ist vorbei. Für immer.

 

Vielleicht schulde ich dir noch eine Erklärung für die Wahl des Fotos: Mein Hund, Aiko, war eigentlich immer meine Lehrerin. Sie wäre nie auf die Idee gekommen wäre, mich wegen Narben oder Kilos oder Falten oder einer nicht gekauften Creme, Jacke oder Tasche nicht zu lieben. Sie hat mir immer gezeigt, wie ich selbst mit mir umgehen soll und dies in Zukunft auch werde.

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Kommentare: 2
  • #1

    Petra (Samstag, 25 Mai 2024 14:02)

    Wunderschön geschrieben Verena

  • #2

    Bojana (Samstag, 01 Juni 2024 22:49)

    Einfach, klar und genau auf Punkt!
    Danke, dass du deine Gedanken und Erkentnisse mit Gesellschaft teilst!
    Genau das braucht die Welt heute mehr als je!