Traumafolgen bei einem verlorenen Zwilling – und wie sie sich im Alltag zeigen können

verlorener Zwilling, Psychotherapie 1190, IOPT Wien, Aufstellung 1190
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Viele Menschen spüren ihr Leben lang eine subtile, schwer greifbare Leere – ein Gefühl von „etwas fehlt“. Nicht selten steckt dahinter ein sehr frühes, oft unbewusstes Erlebnis: der Verlust eines Zwillings im Mutterleib. Dieses sogenannte „verlorene Zwilling“-Phänomen ist in der Psychologie und Traumatherapie ein sensibles Thema, das tiefgreifende Spuren im Erleben und Verhalten hinterlassen kann.

Was bedeutet „verlorener Zwilling“?

 

Während einer Schwangerschaft kann es vorkommen, dass ursprünglich zwei Embryonen angelegt waren, einer davon sich aber in den ersten Wochen nicht weiterentwickelt. Dieses Geschehen bleibt meist medizinisch unbemerkt, doch der überlebende Zwilling „merkt“ auf einer sehr frühen, präverbalen Ebene den Verlust.

 

Die Erfahrung, den anderen zu verlieren, ist für den Fötus ein tiefes Bindungstrauma. Auch wenn keine bewusste Erinnerung vorhanden ist, können unbewusste Spuren bleiben. Typische Folgen sind:

 

Tiefe Sehnsucht und innere Leere – ein diffuses Gefühl, dass etwas fehlt oder das Leben unvollständig ist.

Ambivalente Beziehungen – intensive Nähebedürfnisse wechseln mit Rückzug oder Angst vor Verlassenwerden.

 

Schuldgefühle – unbewusst die Überzeugung, am Verlust des Geschwisters „schuld“ zu sein.

 

Überlebensdruck – das Gefühl, das Leben „doppelt leben“ zu müssen oder nicht genug zu leisten.

 

Schwierigkeiten mit Entscheidungen – das Gefühl, immer „zwischen zwei Optionen“ zu hängen.

 

Die unbewussten Spuren können sich auch in kleinen, aber wiederkehrenden Alltagssituationen bemerkbar machen:

Beziehungen: Nähe kann überwältigend schön und zugleich bedrohlich sein. Partner:innen spüren oft widersprüchliche Signale.

Alleinsein: Stille und Rückzug lösen nicht nur Erholung, sondern auch Unruhe oder Einsamkeitsgefühle aus.

Arbeit und Leistung: Hoher innerer Druck, viel zu erreichen, kann ein Versuch sein, „für zwei“ zu leben.

Entscheidungen: Ob beim Einkauf oder in Lebensfragen – die Wahl zwischen A oder B fällt schwer, als würde immer „jemand“ fehlen.

Freundschaften: Intensive Verbindungen entstehen schnell, können aber genauso plötzlich abbrechen – aus Angst vor erneutem Verlust.

 

Das Wissen um den verlorenen Zwilling kann ein erster wichtiger Schritt sein. In therapeutischen Räumen – etwa in Körperarbeit, IOPT- Aufstellungsarbeit oder traumasensibler Begleitung – lassen sich diese frühen Bindungserfahrungen würdigen und integrieren. Entscheidend ist dabei, das Erlebte nicht als „Defizit“, sondern als Teil der eigenen Geschichte zu betrachten, der behutsam Beachtung braucht.

 

Zusammenfassend lässt sich also sagen:

Ein verlorener Zwilling prägt unbewusst das Lebensgefühl, Beziehungen und innere Muster. Indem wir die feinen Signale im Alltag erkennen, öffnen wir einen Weg zur Heilung – hin zu mehr Selbstverständnis, innerer Ruhe und Verbundenheit.

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